Schlachter des Intellekts

Ein satirischer Bericht von Roman Zukowsky

Das leise Schaudern einer Minderheit ging im lauten Jubel der Mehrheit unter. Bei der JMV des LV Baden-Württemberg 2014 in Esslingen hatte ich mir eine alte Forderung zur Aufgabe gemacht: den Schutz der Berufsbezeichnung. Aus der hinlänglich bekannten Beharrlichkeit des "Zukowsky" konnten Nutznießer billiger Übersetzerkräfte auf eine ernsthafte Bedrohung ihrer Interessen schließen. Doch der Schauder blieb vorerst unbemerkt.

Auch auf der BJMV in Marburg im April 2015 fand sich eine Mehrheit, die meine Initiative guthieß, und ich wurde in den Bundesvorstand gewählt. Meine Aufgabe bestand zunächst darin, zwei Gutachten – ein wissenschaftliches durch Prof. Winfried Kluth und ein politisches durch Dr. phil. Hubert Koch – in die Wege zu leiten. Im Sommer teilte ich dem BV mit, dass ich wenige Tage später an einem Interview mit der Presse in Germersheim zum Thema "Dolmetscherpool" teilnehmen würde. Da wurde das Schaudern schon spürbar.

Das vom LV Rheinland-Pfalz initiierte Interview mit der Zeitung "Rheinpfalz" über die Bedrohung der Existenz professioneller Dolmetscher durch kostenlose Dienste ließ sich zwar nicht mehr verhindern, dafür erstellte der BV allerdings umgehend eine Compliance-Richtlinie; eine Art Maulkorb, denn die Kontakte mit den Medien waren dadurch künftig einem ganz engen Personenkreis vorbehalten. Bei der erforderlichen Genehmigung des Interviews wurde die Aussage so stark entstellt, dass der Redakteur auf die Veröffentlichung verzichtete.

Die Kostenübernahme für die beiden Gutachten sollte bei der BJMV in Berlin im November 2015 beschlossen werden. Für die Debatte vor der Abstimmung fanden die erschreckten erschrockenen Nutznießer eine demagogische Stimme. Der Satz "Die wenig erfolgreichen Kollegen versprechen sich durch den Schutz der Berufsbezeichnung mehr Aufträge." spielte an der emotionalen Saite der Stimmberechtigten und der Antrag wurde abgelehnt. Mit absurden Unterstellungen unter Mitwirkung nützlicher Idioten wurde in den folgenden Monaten "dem Zukowsky" der Rücktritt dringlichst nahe gelegt. Dieser erfolgte dann in Landshut im April 2016.

In unregelmäßigen Abständen zeigt das Fernsehen publikumswirksam rumänische Schlachter , die als Scheinselbstständige zu einem Viertel des deutschen Mindestlohns arbeiten. Ebenfalls zu einem Bruchteil des gerechten Lohns arbeiten hierzulande zahllose Übersetzer. In beiden Fällen verdienen sich Nutznießer eine goldene Nase. Und sie wissen die Quellen ihres Wohlstands wirksam zu verteidigen. Im Gegensatz zu den Schlachtern brauchen die in der Abgeschiedenheit ihrer Arbeitszimmer wirkenden Übersetzer keine behördlichen Kontrollen zu befürchten. Die Arbeit ist sauber, man arbeitet nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit dem Intellekt. Auch die Entlohnung liegt deutlich höher als bei den Fleischern. Somit ist kein wirklicher Ansatzpunkt für Veränderungen in Sicht.

Im LV Rheinland-Pfalz war das Klima für politische Arbeit deutlich freundlicher. Die Erste Vorsitzende und ich – seit Mai 2017 als dortiger Schatzmeister – haben uns mehrfach mit Landespolitikern getroffen und die Ergebnisse der Gespräche in sozialen Medien veröffentlicht. Das ging den Nutznießern offenbar entschieden zu weit. Die Einschüchterung und das Mobbing durch BDÜ-Juristen überschritt die Grenze des Erträglichen. Schließlich trat der gesamte Landesvorstand Rheinland-Pfalz im Oktober 2017 zurück. Die Gegner des Schutzes der Berufsbezeichnung haben gewonnen.

Endlich habe auch ich verstanden, wie der Hase läuft. Argumente für oder gegen den Schutz der Berufsbezeichnung können noch lange ausgetauscht werden. Potente Nutznießer agieren an maßgeblichen Stellen im Hintergrund und verhindern den Schutz nach ihrem Gutdünken. Nach 20 Jahren Abenteuer BDÜ kehre ich gerne in meinen ersten Beruf zurück. Die boomende Wirtschaft sichert meine Existenz als Elektroingenieur. Leid tun mir nur die hochqualifizierten Kollegen – die Schlachter des Intellekts.

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