Wildes Feld

Ein Reisebericht von Roman Zukowsky

Ich trinke max. 2 Bier am Abend, daher war ich schon überrascht, als mir ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle um 10 Uhr morgens sagte, ich rieche nach Alkohol. Um diese Zeit rieche ich nach Kaffee.

Im Grenzgebiet zwischen Europa und Asien, westlich vom Dnjestr (Bessarabien) erstreckt sich die Steppenlandschaft namens "Wildes Feld". Im Laufe der Geschichte war dieses Gebiet mal polnisch, mal russisch, mal türkisch. Heute gehört es zur Ukraine. Der Boden ist hier zwar fruchtbar, doch war dieses Land immer dünn besiedelt, denn traditionell wurde es von den einen oder anderen Räubern ausgeplündert.

Angehalten wurde ich an einer einsamen Stelle in der Steppe, nachdem ein Streifenwagen mehrere Kilometer lang mit Tempo 70 hinter mir hergefahren war. Es war unweit der ukrainisch-moldauischen Grenze.

Die erste Frage lautete allerdings, ob ich vom Meer komme. Zwei Stunden zuvor passierte ich Satoka, ein Erholungsort an der Küste, wo am Ortsausgang zwei schwarz gekleidete Polizisten meinen Jeep auffallend lange taxierten. Die Fahrt von Satoka bis zur Grenze dauert etwa eine Stunde, doch unterwegs machte ich noch einen Abstecher zur Festung Akkerman. Wegen dieser Verzögerung wurde ich noch ein zweites Mal gefragt, ob ich von vom Meer komme. Ich kam von Odessa durch Satoka.

Da ich laut Aussage der Polizisten angeblich nach Alkohol gerochen habe, wurde ich in den Streifenwagen gebeten. Der Alkomat wird herausgeholt, er komme – wie ich – aus Deutschland und arbeite also präzise, erklärte mir der Beamte am Steuer. Zulässig seien 0,2 Promille, ich muss blasen. Das Einsetzen des Mundstücks auf das Messgerät verlief jedoch weniger transparent. Daran kann ich mich nicht genau erinnern. Womöglich war ich von dem anderen Beamten abgelenkt worden. Ich blies unvoreingenommen, denn nach 12 Stunden musste ich ganz nüchtern sein. Doch zu meiner Verblüffung erschien auf der Anzeige der Wert von 0,23. Also Haft, Strafe, Handschellen und alles, was dazu gehört. Auf ukrainisch erklärt.

Es sei denn, ich zahle 500 Dollar. Ersatzweise 500 Euro.

So hoch wurde ich taxiert.

Die Höhe deutet auf eine bandenmäßige Erpressung hin. Bedient werden müssen wohl nicht nur die beiden Streifenbeamten, die mich angehalten hatten, sondern auch die beiden Beamten von Satoka und sicherlich eine ganze Hierarchie von Vorgesetzten. An der Tankstelle, von der aus die Kreuzung der Wege zu beiden Grenzübergängen nach Moldau beobachtet werden kann, wurde ich erwartet und musste danach meine "Identität" zweimal bestätigen. Die beiden Beamten von Satoka hatten eben mich ausgesucht.

Ich wurde nach meinem Beruf gefragt. Kurz überlegte ich anzugeben, ich sei bei der Frontex. Dann verwarf ich diese Idee. Stattdessen sagte ich, ich sei Rentner, da ich doch über 60 bin. Ich ging davon aus, dass Räuber im Wilden Feld über das deutsche Sozialversicherungssystem nicht unbedingt im Bilde sind.

500 Euro hatte ich nicht dabei. Ich ging zu meinem Jeep zurück und holte den Geldbeutel mit dem Reisegeld. Der eine Beamte blieb im Auto sitzen, der andere entfernte sich. Während ich den Inhalt des Geldbeutels sortierte, überlegte ich, ob ich vom Innern des Jeeps aus den Streifenwagen durch die abgedunkelte Heckscheibe fotografieren sollte. Als corpus delicti. Die Kamera lag bereit. Doch ich war mir nicht sicher, ob der hinter dem Steuer sitzende Beamte mich sehen kann. Das Risiko war mir zu hoch.

Einen Teil des Inhalts aus dem Geldbeutel verstaute ich diskret in der Hosentasche und ging mit dem Geldbeutel in der Hand zum Streifenwagen zurück. Ich zeigte dem Beamten den Inhalt, wo neben Euro auch polnische Zloty und selbstverständlich ukrainische Hrywnjas lagen. Schweren Herzens haben sich die Erpresser mit 250 Euro zufriedengegeben und fuhren ab. Immerhin 50 % Rabatt für Rentner.

Angst hatte ich durchaus. Sie hätten mich umbringen können, und keiner hätte es bemerkt. Sie hätten mir unbemerkt Drogen in das Auto schmuggeln und mich des Drogenhandels beschuldigen können. Wir waren alleine in der Steppe. Jedoch konnte man aber auch bei den Beamten eine gewisse Anspannung erkennen, und sie zeigten nicht die von deutschen Polizeibeamten an den Tag gelegte Selbstsicherheit. Nach der Geldübergabe sprachen sie per Funk minutenlang, bevor sie abfuhren. Offenbar mussten sie sich die Beuteminderung von anderer Stelle genehmigen lassen.

Auf dem Weg in die Europäische Union pflegen die ukrainischen Politiker zu betonen, wie ernst es ihnen mit der Bekämpfung der Korruption ist. Die Pflege der Tradition erweist sich aber als stärker.

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